Die zwei Superlative: Babylon Berlin und die Neue Berliner Straße. Interview mit Szenenbildner Uli Hanisch


BABYLON BERLIN – Hintergrund

TV-Krimiserie nach Romanvorlagen von Volker Kutscher, 2 Staffeln, je 8 Folgen à 45 Minuten.

Produktion: X Filme Creative Pool, Beta Film, ARD Degeto, Sky Deutschland

Regie: Tom Tykwer, Achim von Borries, Henk Handloegten

Drehbeginn: Mai 2016

Drehtage: ca. 180 (Vorbereitungszeit: 1 Jahr)

Drehorte: Berliner Straße Studio Babelsberg, über 200 Originalmotive in Berlin

Ausstrahlung: 2017 (Sky), 2018 (Das Erste)


Nach zuletzt „The International“ und „Cloud Atlas“ ist  „Babylon Berlin“ erneut eine Zusammenarbeit mit dem Regisseur Tom Tykwer. Um was handelt es sich?

Hanisch: Babylon Berlin ist eine historische Kriminal Serie, angesiedelt in den Zwanziger Jahren, die sich im Kontext der neuen, internationalen Serienformate, wie ‚Boardwalk Empire‘ oder ‚Peaky Blinders‘ versteht. 

Wir begleiten den rastlosen Kommissar Rath aus Köln, der neu in der Stadt ist und Berlin mit uns kennenlernt, betrachtet durch den Filter seines distanzierten, eher skeptischen Blickes auf die brodelnde Metropole. Gedreht wurden zwei Staffeln mit je acht Folgen. Die Serie gilt als die aufwendigste deutsche Fernsehproduktion aller Zeiten.

Welches Bild der Stadt und der Lebensumstände im Berlin der 1920er Jahre vermitteln Sie?

Hanisch: Das Berlin der Zwanziger Jahre beschreibt eine Welt des Umbruchs. Die Stadt selbst war noch ganz jung, sie war ja gerade innerhalb weniger Jahrzehnte nahezu vollständig entstanden.
Die Monarchie endete im Fiasko des ersten Weltkrieges und hat die erste brüchige Demokratie in ihren Trümmern hinterlassen. Elektrizität und die gerade beginnende Industrialisierung haben die Lebensweise und Perspektive von praktisch allen auf den Kopf gestellt, Millionen Menschen strömen in die Städte und brauchen Arbeit, Unterkunft, Verpflegung - und UNTERHALTUNG! Musik, Kultur, Theater, Tanz aber eben auch die Politik und die Gesellschaft waren im absoluten Wandel. 
Berlin war eine Hochburg dieser neuen Moderne, Experimentierfeld und Petrischale für alles Wilde und Neue. Vieles was für uns bis heute selbstverständliche Grundlage ist, wurde damals nahezu zeitgleich auf engstem Raum parallel erfunden. Also, eine sehr aufregende und wirklich spannende Zeit.

© Uli Hanisch

Was war für Sie im Entwurf des Szenenbildes für „Babylon Berlin“ unverzichtbar? 

Hanisch: Eben diesen Geist in den Mittelpunkt zu stellen und die erstaunliche Parallelität zu unserer Zeit festzustellen, beziehungsweise wie viel heute immer noch gültig ist. Wie sehr wir im „Schatten“ unserer (Ur-)Großeltern geblieben sind. Wie viel die damalige Zeit mit uns zu tun hat, oder wir mit ihr.

„Babylon Berlin“ ist eine Fernsehproduktion. Hat sich das im Szenenbild gegenüber ihren großen Spielfilmproduktionen bemerkbar gemacht? Die bereits veröffentlichten Bilder der TV-Krimiserie, die in Ausmaß und Aufwand schon vorab fast alle Rekorde bricht, stellen die übliche Trennung von TV- und Kino-Look auf den Kopf.

Hanisch: Ja, das stimmt. Immer wenn es besonders schlimm zuging, haben wir uns im Spaß gegenseitig daran erinnert, dass wir „ja nur Fernsehen machen“. 

Ich finde die Unterscheidung eigentlich generell schwierig, weil das Format ja nicht zwangsläufig die Ästhetik bestimmt. Es gibt Kinofilme, die ihre Geschichte eher in einem naturalistischen oder minimalistischen Gewand umsetzen. Nennen wir das dann einen „Fernseh-Look“? Genauso gibt es Fernsehproduktionen, die sich sehr stark über eine cineastische Darstellung definieren. 

Auch Größenordnung oder Budgets sind ja in keiner Weise mehr eindeutig zuzuordnen. Geschweige denn Zuschauerzahlen. Also, was sind denn dann typische Attribute von Fernsehen oder Kino im hier und heute? Die Medien sind ja sowieso im rasenden Wandel und viele Standards werden im Moment neu überarbeitet.

Primär geht es doch darum, dass man für seine Geschichte und die Welt in der sie spielt, den richtigen Rahmen findet. Und die Zuschauer darüber Zugang finden, am Ball bleiben und sich gut unterhalten fühlen.

© Uli Hanisch

TV-Serien wie „Boardwalk Empire“ haben einen neuen Standard in Szenenbild und Ausstattung gesetzt. Sehen Sie die Produktion in dieser Tradition oder gibt es grundlegende Unterschiede?  

Hanisch: Jeder Vergleich hinkt ja immer zwangsläufig, weil jedes Projekt anders ist und anders sein will. Aber Serien wie eben „Boardwalk Empire“, „The Knick“, „Peaky Blinders“ und sogar „Penny Dreadful“ sind sehr inspirierende Arbeiten von herausragenden Kollegen, die offensichtlich mit fantastischen Mitarbeitern und entsprechenden Budgets ausgestattet waren und großartige Arbeit geleistet haben. Es ist doch ermutigend festzustellen, dass solche Formate erfolgreich sind, finanziert werden können, gerne gesehen werden und eben attraktive Produkte sind, die genau deshalb so in Auftrag gegeben werden.

Wir haben uns ergo natürlich in dieser Tradition gesehen und versucht dieses hohe Niveau anzupeilen. Weil unser Berlin aber so ein Sumpf ist, haben wir versucht noch etwas „schmuddeliger“ zu werden. Aber warten wir mal ab, wie es daher kommt.

© Uli Hanisch
© Uli Hanisch

Die Dreharbeiten waren der Startschuss für die „Neue Berliner Straße“ im Studio Babelsberg, die Sie als Architekt entworfen haben.

Hanisch: Als Architekt habe ich sie nicht entworfen, das kann ich nicht - ich bin kein Architekt! Ich habe sie als Szenenbildner entworfen. Mit einem sechsköpfigen Team, in dem vor allem Daniel Chour Architekt ist und deshalb dann auch als leitender Art Director die Straße bis zum Ende durchgängig betreut hat. Aber der Entwurf unterscheidet sich eben im Wesentlichen in seinem Konzept, glaube ich. Das Konzept ist primär dramaturgisch und filmisch.

Der verdichtete Raum, die Stadt zusammengefasst auf vier Stichworte, der nahtlose Übergang von einem sozialen Level zum nächsten, die Querverbindungen über die Höfe usw., das alles sind vor allem filmische und inhaltliche Aspekte, die Architektur kommt dann von ganz alleine.

Hat sich ihr Konzept bereits bewährt? Was gefällt Ihnen am Besten?

© Uli Hanisch

Hanisch: Schwer zu sagen. Die Dreharbeiten von Babylon Berlin waren ja wie ein sehr aufwendiger „Testlauf“ für die Kulisse. Die ersten Eindrücke sind allerdings bisher echt toll und vielversprechend. Im Moment kommen gerade die ersten digitalen Ergänzungen von rise fx dazu. Da sehen wir dann, ob und wie der Gedanke des „Hybrid Baus“ aufgeht. Das funktioniert aber bisher sehr gut, fast noch besser als erwartet!

Unser Ziel war es, uns scheinbar mühelos durch ganz Berlin zu bewegen. Die Stadt immer mitspielen zu lassen und sie eben in all ihren unterschiedlichen Facetten zeigen zu können.
Scheint zu gelingen!

Die „Straße“ ist ein Areal von etwa 15 000 qm, etwa dreimal so groß wie die alte Kulisse. Ein Traumprojekt in dem man viel verwirklichen kann. Welche Anforderungen mussten Sie erfüllen?

Hanisch: Nur ein Beispiel: es gibt über 600 Fenster, die alle mit Gardinen und Vorhängen bestückt werden mussten. Das haben wir mal planerisch hochgerechnet und gemerkt, dass es für eine Truppe von fast 10 Set Dressern ca. sechs Wochen dauern wird, das auszuführen. Dazu kam schnell die Erkenntnis, dass es eine ausgefuchste Inszenierung und ein richtiges Gestaltungskonzept geben muss, damit es gut aussieht. Können ja nicht irgendwelche Lappen rumhängen! Ingeborg Heinemann ist da ins Spiel gekommen und hat mit einer ganz atemberaubenden Detailliebe und Energie und ihrem hoch motivierten, selbstständigen und künstlerischen Team die Straße praktisch zum Leben erweckt. Sie konnte einem hinterher wirklich erklären, wer hinter jedem einzelnen Fenster wohnt und zuhause ist. Anders geht es auch nicht! 

Es hat aber dann eben auch ein bisschen länger gedauert und wir mussten einfach zugeben, diesen Aufwand im Vorfeld bei Weitem unterschätzt zu haben. Und das ist hier wirklich nur ein Beispiel von vielen. Daniel Chour und Marco Pressler, der Bauleiter vom Art Department Babelsberg können da noch ganz andere Lieder singen…

Epochen kann man sehr eindeutig in Architekturen, Architekturdetails und auch Straßenzügen widerspiegeln, die Kulisse muss aber flexibel einsetzbar sein. Wie geht man am besten vor? Stellen sich da nicht gewisse Konflikte ein?

Hanisch: Nein. Berlin ist die Grundlage. Die Stadt hat den Vorteil, dass sie eine sehr homogene Stadtarchitektur mitbringt. Wir sind vom Berlin auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung ausgegangen, das ja kurze Zeit später durch die Zerstörung im Zweiten Weltkrieg radikal bis auf die Grundfeste geschliffen wurde, kurioserweise aber durch den Wiederaufbau bis heute von den gleichen Gebäudetypen geprägt ist.

Das heißt, durch unsere Mischung von arm, reich, alt und modern haben wir alle Anlagen bei der Hand. Wir können Vorkrieg, Kriegszerstörung, Nachkrieg, DDR, Wende, Hausbesetzer etc. alles bis heute durchgängig erzählen. Zukunftsvisionen oder andere Städte gehen natürlich auch und haben ohnehin ihre eigenen speziellen Anforderungen. Kommt eben immer darauf an, was man genau braucht und wie gut und viel man planen, erfinden und investieren will. Und die Details, die sogenannte „Straßenmöblierung“ mit Ladenlokalen, Vorgärten und besonderen Hauseingängen oder Wohnungsblicken, müssen ja ohnehin immer neu ergänzt werden.

© Uli Hanisch

Haben Sie bestehende Bauwerke als Vorlage genutzt oder dem Zeitstil entsprechend nach eigenem Gusto entworfen?

© Uli Hanisch


Hanisch
: Wir haben mit Hunderten von Vorlagen gearbeitet und dann nach und nach alle Fassaden individuell entworfen. Das war notwendig, weil wir ja diesen Verlauf in den Entwürfen von ganz reich und elaboriert (unser Charlottenburg), über gemäßigt ausgestaltet (bei uns Kreuzberg) bis hin zu ganz einfach und abgewirtschaftet (der Wedding) durchformuliert haben.

Vorne kommt dann noch die Friedrichstraße mit den überraschend modernen Gebäuden, dem Nachtlokal „Moka Efti“ und dem Kaufhaus „Adam & Söhne“.

Ich habe gelesen, dass Sie ganz klassisch mit dem Stift gezeichnet haben. Wie ging es dann weiter?

Hanisch: Ich zeichne ja selber fast gar nicht. Nachdem aber die ersten Fassaden im Rechner entworfen wurden, waren wir alle ein bisschen ernüchtert, so dass ich die Entwurfszeichner gebeten habe, die reinen Entwürfe per Hand zu machen. Die können zum Glück beides und so haben wir die gesamte Straße per Hand durchgezeichnet und erst später, als Daniel Chour mit der Umsetzung begann, hat er mit einer kleinen Crew von drei bis vier Leuten angefangen alles in die Rechner zu übertragen. 

Als dann klar wurde, wie viele Details die Werkstätten für einen zügigen Ablauf benötigen, wuchs die Truppe auf 10 bis 12 Mitarbeiter an, die noch mal drei Monate lang hunderte von technischen Zeichnungen im Rechner hergestellt haben. Parallel fingen die Werkstätten mit Marco Pressler als Bauleiter im Dezember 2015 mit den Vorarbeiten an, um dann unter Hochdruck ab Januar 2016 die ganze Baustelle in gut fünf Monaten zur Fertigstellung zu bringen. Eine Meisterleistung! 
Das habe ich sehr bewundert. Immer wieder. Im Winter, bei Bodenfrost, bis zu 300 Bauleute, Gerüstbauer, Kranführer, Schweißer, Schreiner, Plastiker, Bühnenmaler, Straßenbauer, Elektriker und viele mehr… Was für eine Tour de Force! 

© Uli Hanisch

Wenn man auf die Geschichte der alten „Berliner Straße“ blickt, die als Kulisse für Filme von Quentin Tarantino und Roman Polanski gedient hat, kann man einiges für die Zukunft „ihrer“ Straße erwarten. Ist es eher erhebend oder respekteinflößend sich mit diesem Bau auch ein Stück weit in der internationalen Filmgeschichte zu verewigen?

Hanisch: Natürlich beides! Es war aber ulkig zu bemerken, wie selbst bei mir schon direkt nach Abschluss unserer Dreharbeiten die Straße anfing gefühlt „eigene Wege“ zu gehen. Sehr gespannt bin ich, wie es sich wohl anfühlen wird, in ein paar Jahren mit einem ganz anderen Projekt, mit völlig diametralen Anforderungen zurückzukehren. Und natürlich wird jeder Filmemacher, der zukünftig die Straße nutzen will, irgend etwas ganz falsch und richtigen Mist finden! Da kann man jetzt nur noch mit den Schultern zucken und sagen: „Wir fanden es so gut und wussten es nicht besser. Jetzt machst Du es halt anders“!


Über Szenenbildner Uli Hanisch, Berlin

© Martin Rendel

Uli Hanisch studierte Visuelle Kommunikation in Düsseldorf und ist seit 1990 als Szenenbildner für  nationale und internationale Produktionen tätig. Viele seiner hochkarätigen Szenenbilder wurden ausgezeichnet, u.a. „Das Experiment“ (Deutscher Filmpreis 2001), „Das Parfum“ (Bayerischer Filmpreis, Deutscher Filmpreis, Europäischer Filmpreis 2007) und „Cloud Atlas“ (Deutscher Filmpreis 2013). 

Produktionen (Auswahl)

"Das deutsche Kettensägenmassaker" (1990, Regie: Christoph Schlingensief)
"Terror 2000" (1992, Regie: Christoph Schlingensief)

"00 Schneider - Jagd auf Nihil Baxter" (1994, Regie: Helge Schneider)
"Praxis Dr. Hasenbein" (1996, Regie: Helge Schneider)

"Das Wunder von Bern" (2002, Regie: Sönke Wortmann)

"Stauffenberg" (2003, Regie: Jo Baier)

"Anonyma - eine Frau in Berlin" (2007, Regie: Max Färberböck)

"The International" (2007, Regie: Tom Tykwer)

"Hotel Lux" (2010, Regie: Leander Haussmann)

"Der letzte Tempelritter" (2011, Regie: D. Sena/B. Ratner, mit Nicolas Cage)

"Cloud Atlas" (2011, Regie: Tom Tykwer)

"Therese Raquin" (2012, Regie: Charlie Stratton)
"In Secret" (2013, Regie: Charlie Stratton)

"Timm Thaler" (2015, Regie: Andreas Dresen)


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