„Zu weit weg“ (Kinofilm, Weydemann Bros. GmbH, Regie: Sarah Winkenstette) ist ein Kinderfilm, der gleich mehrere aktuelle und ernste Themen aufgreift. Was ist die Idee hinter dem Film?
Birgit Loth: „Zu weit weg“ erzählt den Verlust von Heimat und die Probleme der Integration. Kindgerecht und ohne dabei zu verharmlosen. Im Mittelpunkt stehen die Jungs Ben (Yoran Leicher) und Tariq (Sobhi Awad). Ben, der mit seiner Familie das Dorf verlassen muss, in dem er aufgewachsen ist, da der Ort dem Braunkohletagebau zum Opfer fällt. Und Tariq, der aus Syrien geflohen ist und auf der Flucht von seiner Familie getrennt wurde. Die Jungs sind beide neu in der Stadt und anfangs Konkurrenten in der Schule und beim Fußball. Doch es entsteht langsam eine Freundschaft zwischen den beiden, bei der am Ende beide voneinander profitieren: Sie werden stärker, selbstbewusster und lernen ganz handfeste Dinge voneinander.
Die Idee des Films ist es zu zeigen, dass ein Neuanfang auch eine Chance sein kann. Verpackt in ein Kinderabenteuer, das sich um Freundschaft, Integration und Fußball dreht.
Welches Konzept haben Sie daraus für das Kostümbild entwickelt?
Birgit Loth: Das Ziel war es ein authentisches Kostümbild zu kreieren und die Figuren nicht zu überzeichnen, sie nahbar und sympathisch zu zeigen. Die Farbstimmung im Kostümbild, auch in Abstimmung mit dem Szenenbild, orientiert sich stark an der Gemütslage von Ben. Die Farben sind gedeckter in traurigen Momenten (z.B. die einsame Fahrt durch sein altes Dorf) und heller und fröhlicher in glücklichen Momenten. Aber nie grell und kunterbunt wie manch anderer Kinderfilm.
Was war die erste Assoziation für das Kostümbild nach dem Lesen des Drehbuchs?
Birgit Loth: Am klarsten vor Augen hatte ich Tariq. Da decken sich meine ersten Ideen sehr mit dem Look, den er später im Film hat. Es gab aber trotzdem erstmal ganz viel zu recherchieren, zum Thema Tagebau und Fußball.
Haben Sie da schon erste konkrete Kostümvorstellungen oder kann der Startschuss für die Vorbereitung erst nach der Besetzung der Rollen erfolgen?
Birgit Loth: Es ist oft erstmal ein Stil, den ich dann vor Augen habe, ohne ganz konkrete Vorstellungen. Diese formen sich erst im Gespräch mit Sarah, der Regisseurin. Und ebenfalls nachdem eine Rolle besetzt wurde. Ich höre mir dann auch die Ideen der Schauspieler zu ihrer Rolle an. Das ist manchmal ein ganz neuer und interessanter Impuls. Erst dann werden die Kostümvorstellungen konkret.
Wie entsteht der „Look“ einer Figur? Zum Beispiel der von Ben, einem Jungen, der in einem Dorf nahe dem Tagebau großgeworden ist?
Birgit Loth: Looks können auf unterschiedlichste Weisen entstehen. In Bens Fall war klar, dass er ein Dorfkind ist. Und das sollte man im Vergleich zu seinen neuen Klassenkameraden, den Stadtkindern, sehen. Seine Sachen sind daher weniger modisch und knallig. Eher einfach, funktional, und auch insgesamt gedeckter als andere Looks im Film. Hinzu kommt, dass wir als seine Lieblingsfarbe blau gesetzt haben. Um meine Idee von einem Look zu veranschaulichen gestalte ich gerne Moods, die ich mit Regie und Szenenbild bespreche und abstimme.
Wie schaffen Sie es, die Idee von einem Kostüm tatsächlich für den Dreh zu finden? Im Privaten ist es ja meist fatal, mit genauen Vorstellungen einkaufen zu gehen…
Birgit Loth: Beim Zusammenstellen für eine Rolle suche ich ganz gezielt nach Kleidungsstücken in gewünschten Farben und Stil. Dabei suche ich im Kostümfundus, in Onlineshops und in Geschäften vor Ort. Ich lasse mich aber auch vom Angebot inspirieren. Gegebenenfalls muss man Kompromisse eingehen, seine Idee vom Kostüm etwas verändern, färben oder etwas anfertigen lassen. Eine Idee ist ja nie in Stein gemeißelt. Aber das Suchen, Stöbern, Ideen finden muss man in diesem Beruf auf jeden Fall sehr mögen.
Muss man bei der Arbeit mit Kindern einen Wachstumsschub zwischen Vorbereitung und Dreh einkalkulieren?
Birgit Loth: Je nachdem wieviel Zeit zwischen den ersten Anproben und dem letzten Drehtag eines Kinderschauspielers liegt, sollte man das tatsächlich. Und natürlich kommt es auf das Kostüm an. Bei unseren Kostümen, die eher locker saßen, fiel das zum Glück nicht so ins Gewicht. Auf die Schuhe mussten wir allerdings ein Auge haben. Innerhalb von 3 Monaten kann da gerne mal eine Schuhgröße dazu kommen.
„Zu weit weg“ behandelt Themen, die auch spezielle Kleidung erfordern wie zum Beispiel Fußball oder die syrische Herkunft von Tariq. Welche Kleidungsstücke aus dem realen Leben haben sich nicht für das Tragen im Film geeignet?
Birgit Loth: Wirklich ausgeschlossen ist erstmal nichts. Der Stoff darf nicht zu sehr rascheln. Sonst bekommt der Ton Probleme. Und Muster dürfen nicht zu klein sein, da sie sonst anfangen zu flimmern.
Was also ist richtig guter „Filmstoff“?
Birgit Loth: Guter „Filmstoff“ ist unempfindlich, formbeständig, fußelt nicht und trocknet schnell. Das umschreibt aber natürlich nur die Pflegeeigenschaften, die die Arbeit mit den Kostümen beim Dreh erleichtern. Bestenfalls bespricht man im Vorfeld mit der verantwortlichen Kamerafrau oder dem Kameramann ob ein bestimmtes Kostüm vor der Kamera funktioniert oder nicht. Manchmal muss man aber tatsächlich im Set noch einmal abwägen. Wenn zum Beispiel die Schauspieler spontan auf dem Sofa sitzen sollen und nicht mehr am Esstisch und man dann feststellt, dass Kostüm und Sofa die gleiche Farbe haben, wechselt besser nochmal das Kostüm. Für solche spontanen Änderungen muss man offen sein.
Bei welcher Rolle konnten Sie sich kostümtechnisch richtig austoben?
Birgit Loth: „Austoben“ finde ich etwas zu viel gesagt. Aber es hat mir riesigen Spaß gemacht für „Zu weit weg“ die unterschiedlichen die Looks der Fußballmannschaften und deren von uns erfundenen Fußballclubs zu kreieren, natürlich in Absprache mit dem Szenenbild. Oder auch die Looks und Charaktere der Schulkinder und Lehrer optisch festzulegen (der Nerd, der Klassenclown, der Coole, die Streberin).
Apropos Nerd: Wie geht man damit um, wenn man jemanden unvorteilhaft darstellen muss?
Birgit Loth: Meistens ist das ein großer Spaß für beide Seiten. Man bespricht den (unvorteilhaften) Look mit dem Schauspieler vor einer Anprobe, so kommt es zu keinen bösen Überraschungen. Man muss natürlich aufpassen, dass die Rolle nicht lächerlich oder verkleidet aussieht. Da ist der Grad von unvorteilhaft zu lächerlich schmal.
Gegen den eigenen guten Geschmack zu arbeiten ist immer eine Herausforderung. Es hilft sich Beispiele vors Auge zu holen, eine real existierende Person auf der Straße, aus einer Dokumentation oder Internetrecherche.
Oft gibt es noch kurzfristige Änderungen am Set. Haben Sie einen „quick and dirty“-Trick, der Ihnen schon manch missliche Situationen gerettet hat?
Birgit Loth: Am Set heißt es immer mal wieder improvisieren. Den ultimativen Trick habe ich gar nicht. Grundsätzlich sollte immer eine kleine Kostümauswahl am Set sein, genauso Tapes in unterschiedlichen Farben. Bei einer Produktion, die schon einige Jahre zurück liegt, hatte der Darsteller sein gestreiftes T-Shirt vergessen. Dieses hatte allerdings Anschluss. Also haben wir spontan ein weißes T-Shirt mit Klebestreifen beklebt. Das fiel erstmal nicht auf.
Wo wird der Einfluss ihres Kostümbildes im Film am deutlichsten?
Birgit Loth: Mein Kostümbild unterstützt jede einzelne Rolle und hilft dem Zuschauer die Figuren schnell kennenzulernen. Ganz ohne, dass man das Gefühl hat, jemand ist verkleidet.
Wie viele Kostüme mussten angefertigt werden? 44 Logos gestickt, 67 Trikots bedruckt
Wie viele Kostüme mussten doppelt bereitgestellt werden? 19 Kostüme
Das Verhältnis von pragmatisch zu kreativ im Filmkostümbild? 30 zu 70
Klischees bedienen oder brechen? Kommt drauf an. Ist beides nützlich.
Das Beste Kostümbild aller Zeiten? Funny Girl (1968) und The Danish Girl
Nach einer Ausbildung zur staatlich geprüften Modedesignerin und einem Volontariat im Kostümbild des WDR Köln arbeitet Birgit Loth seit 2009 als freie Kostümbildnerin und Stylistin für TV-Shows, Magazine, Events, Moderatorenstyling, Theater und Film.
„Zu weit weg“ (in Postproduktion/ Kinder-Kinofilm / Weydemann Bros.) 2018
„Et hätt noch immer jot jejange“ (Volkstheater / Millowitsch Theater) 2016
„Orden wider den tierischen Ernst“ (TV-Event / ARD) seit 2015
„Wissen vor acht - Zukunft“ (TV-Magazin / ARD) seit 2013
„Tanzmariechen XXL“ (Volkstheater / Millowitsch Theater) 2012
Kasalla (Kölner Mundart-Band) seit 2011
„Wissen macht Ah!“ (Kinderfernsehen / WDR) seit 2009
„Mitternachtsspitzen“ (Politisches Kabarett / WDR) seit 2009
„Blaubär und Blöd“ (Kinderfernsehen / WDR) 2009-2011