"Der Goldene Handschuh" - Interview mit Szenenbildner Tamo Kunz


"Der Goldene Handschuh"

Kinofilm

Regie: Fatih Akin
Produktion: Bombero International GmbH & Co KG, Pathé, Warner Bros. Pictures Germany
Drehort: Hamburg
Drehtage: 34
Kinostart: 21.02.2019

Hamburg St. Pauli in den 1970er Jahren, die Amüsiermeile und ihre Nachtgestalten: Gewohnheitstrinker und Prostituierte, Spielsüchtige und andere einsame Seelen. Fritz Honka, ein gedrungener Mann mit dicker Hornbrille und einem verunglückten Gesicht, ist einer von ihnen. Ein Hilfsarbeiter, der in der Kiezkaschemme Zum Goldenen Handschuh ältere, sozial verwahrloste, allein trinkende Frauen aufreißt und abschleppt. Was niemand weiß: In seiner Dachgeschosswohnung erschlägt und erwürgt er seine Opfer, zerstückelt sie und entsorgt die Überreste hinter der Wand zum Dachboden. Gegen den Verwesungsgestank verteilt er Wunderbäume im Haus, die Schuld an den penetranten Gerüchen schiebt er der benachbarten griechischen Familie in die Schuhe. (Text: Programm Berlinale)

 

Bedrückend und authentisch hat das Art Department das Umfeld des berüchtigten Hamburger Frauenmörders Fritz Honka kreiert. Tamo Kunz ist dafür in der Kategorie "Bestes Szenenbild" für den Deutschen Filmpreis nominiert (Verleihung 03.05.2019). Die Verfilmung von Regisseur Fatih Akin beruht auf dem Bestsellerroman "Der goldene Handschuh" von Heinz Strunk.


Bei „Der Goldene Handschuh“ kann man schon fast nicht mehr von Drama sprechen – das ist Horror. Wie geht man als Szenenbildner an einen so abgründigen Stoff heran?

 

Tamo Kunz: Die Auseinandersetzung mit dem Roman von Heinz Strunk war mein Einstieg in das Projekt. Genauer gesagt: der Roman, gelesen von Heinz Strunk. Das hat mich mitgenommen. Es war toll das zu hören, aber es ging nur mit einigen Pausen zwischendrin. Kurz mal durchatmen und weiter.


Dann folgten alle dokumentarischen Filme zu Fritz Honka. Entscheidend war aber, dass die Kollegin Desiree Peton es geschafft hat die originalen Spurensicherer Fotos zu bekommen, die uns als Vorlage für die Gestaltung der Wohnung dienen sollten. Das war schon recht unappetitlich, vor allem die Leichenbündel. Irgendwann bewegt man sich ganz selbstverständlich in dem Dreck und Ekel. Die Vorstellung allerdings, dass jemand über Jahre mit verwesenden Leichen in der Abseite lebt, ist schon schwer erträglich. Ich hatte mal 130 kg Schweinefleisch bei einem Film im Einsatz und wir haben einen Tag zu spät mit der Entsorgung begonnen. Der Gestank war unfassbar. Als ich in den Keller ging, wo das Fleisch ohne wirkliche Kühlung lag, bin ich tatsächlich gegen eine Geruchswand gelaufen. Honka war schon ein sehr speziell fertiger Typ.

St. Pauli ist ein eigener Kosmos. Kommen Sie aus Hamburg oder haben Sie erst einen Crashkurs in Sachen „Kiez“ benötigt?

Tamo Kunz: Ich komme gebürtig aus Oldenburg, bin aber nach der Schule schnell dort weg und nach Hamburg gezogen um dort meinen Zivildienst  im Seemannsheim am Krayenkamp abzuleisten. Dort habe ich dann auch über ein Jahr lang gewohnt. Die Seemannsmission am Michel mit seiner speziellen Klientel war schon „Goldener Handschuh“ Style. Dieses Umfeld war meine erste Berührung mit Hamburg. Auch beim Ausgehen. Nicht unbedingt der Handschuh, aber ich bin viel im Clochard gewesen. Da konnte man kickern und die Musikbox füttern. Das Milieu war aber dasselbe. Von daher kann man sagen, dass ich erst St. Pauli und erst später Hamburg kennen gelernt habe.

© Tamo Kunz

Was unterscheidet die Kneipe „Zum Goldenen Handschuh“ von einer normalen Kneipe? Was darf für ein authentisches St. Pauli im Nachbau keinesfalls fehlen?

 

Tamo Kunz: Ich meine, dass der "Goldene Handschuh“ schon auch vergleichbar mit anderen Läden war. Da gab es so einige Kaschemmen, in denen man sich gut gehen lassen konnte. Der Film „Mondo Cane“ war auch so eine Inspirationsquelle für uns. Da sieht man diverse krasse St. Pauli Läden. So etwas wie eine Sparclub Kasse, die Musikbox oder ein Daddelautomat, wie wir es im "Handschuh" eingebaut haben war schon weit verbreitet. 

„Zum Goldenen Handschuh“ war aber eine dankbare Vorlage, denn seine holzverkleideten Wände, die Raumaufteilung und so charmante Elemente wie der Bogen zum hinteren Raum nimmt man gerne auf. Ach ja: Die Vitrine mit den Pokalen und den Boxhandschuhen verweist auf die besondere Vorgeschichte des Begründers Herbert Nürnberg. Der ist vorher Profi Boxer gewesen mit Kämpfen auch in den USA.

© Tamo Kunz
© Seth Turner

In der Ausstattung der „Wohnung Honka“ finden sich einige schräge Ausstattungsgegenstände, wie der Wäschepuff aus Stoff mit grünem Muster oder das Telefon mit Brokatbezug. Trotzdem wirken sie im Set mehr als nur bedrückend. Wie haben Sie das hinbekommen?

Wäschepuff Wohnung Honka

Tamo Kunz: Erst einmal hilft natürlich die Enge der Dachwohnung dabei Beklemmungen auszulösen. Dazu kommt eine schon ordentlich aufgetragene Patina-Ebene, die das Unwohlsein unterstützt. Die Kombination aus der großflächigen „Porno Kollage“ mit den unterschiedlichsten Kinderpuppen ist auch recht abstoßend. Dass die kleine Wohnung dann vollgestopft ist mit Möbeln aus einer verstaubten biederen Zeit tut das Übrige. Gruselige Vorhänge und andere Details runden das Bild dann ab.

 

Lustig, dass Sie das Telefon ansprechen. Ich habe ja ein Lager in der Speicherstadt. Also meinen eigenen kleinen Fundus, aus dem ich immer wieder schöpfen kann. Ich habe mich so geärgert, dass ich mein Telefon mit braunem Lederüberzug nicht auf dem Zettel hatte. Das habe ich nachdem angedreht war gefunden und das erschien mir so viel gruseliger und daher stimmiger. Am Ende kann ich auch mit dem Brokat Überzug leben. Für die Animation von Honkas Wohnung, habe ich die Telefone dann aber doch ausgetauscht. Das war so ein Gimmick, den „Handschuh“ und die Wohnung mit tausenden Fotos festzuhalten und daraus einen virtuell begehbaren Raum zu erzeugen. Spannende Sache.

Wohnung Honka in "Der Goldene Handschuh" © Tamo Kunz
Nachbau Warm-Up Party FF Hamburg/Schleswig Holstein
Von der FTA zur Verfügung gestellt.
Rechs im Bild das Telefon. © FFHSH_Jasper Ehrich

Die Orte des Films haben tatsächlich existiert beziehungsweise sind sie bis heute in veränderter Form erhalten. Wie sind Sie an Informationen über die Details in den ursprünglichen Schauplätzen gekommen?

 

Tamo Kunz: Die Bilder von Honkas Wohnung hatten wir ja von der Polizei Hamburg bekommen, Fotos vom „Golden Handschuh“ gab es nicht so richtig. Da habe ich in vielen alten Bildbänden gestöbert und Filme aus den 60er und 70ern geschaut, die auf dem Kiez spielten. „Mondo Cane“ war wie gesagt eine wichtige Inspiration für die Gestaltung der Kneipe, aber auch „Supermarkt“ von Rainer Klick hat uns für verschiedene set ups inspiriert. Hauptsächlich hat die Recherche aber ergeben, dass Hamburg gar nicht mehr so aussieht wie in den Siebzigern. Das war echt noch dreckig alles damals.


Fatih hatte eine Historikerin engagiert die erst einmal mit mühsam zusammen getragenen Bildmaterial eine Grundlage geschaffen hat. Das war toll, die Siebziger Jahre in Hamburg so genau kennen zu lernen.
Was seit den Tagen alles abgerissen worden ist und wegsaniert wurde ist allerdings schmerzhaft. Das Hamburg von damals gibt es so schon lange nicht mehr. Der alte Altona Bahnhof war so eine Perle, bei der man sich heute nicht vorstellen kann, wie  man das abreißen konnte. S-Bahn hin oder her. Na ja, sie tun es ja eigentlich immer noch genau so. Da verschwindet das alte Viadukt der Bahntrasse an den Elbbrücken oder ein wahnsinniges Brooklyn-mäßiges Industriegebäude auf der Peute. Da gibt es dann doch viele Beispiele für das verschwinden der Hamburg Identität.

Entstehungsprozess der Wohnung Honka
© Seth Turner

Was hat Sie bei den Originalfotos in der Wohnung des Mörders besonders überrascht?

 

Tamo Kunz: Ich weiß nicht, ob es mich wirklich überrascht hat, aber diese penible Ordnung, die Honka in den Vitrinen, Schränken und auch in seinem Kleiderschrank hatte, finde ich bemerkenswert. Ich kenne das von einem älteren Freund, der inzwischen verstorben ist. Der hatte offensichtlich Probleme mit Reinlichkeit, aber es gab schon einen auffälligen Hang zur Ordnung in seinen Regalen und Schränken. Das wirkte so, als wenn diese Ordnung die letzte Bastion vor der kompletten Verwahrlosung ist.

Der Film spielt Ende der 70er, das ist de facto noch keine Ewigkeit her und doch historisch. In den Nachbauten kann man sich ganz gut austoben, wie war das mit den Außenaufnahmen?

© Tamo Kunz

Die Außenaufnahmen waren eine große Herausforderung. Es gibt einfach zu Vieles im Straßenbild heutzutage das man nicht zeigen darf. Als Erstes mussten jeweils alle Aufkleber und Graffitis verschwinden. Das war jedes Mal ein eigener Arbeitsabschnitt. Dazu das Problem mit den Kunststofffenstern mit Doppelverglasung. Die gab es zwar damals schon, aber nicht in der Häufung wie heute. Und natürlich ist heute alles viel sauberer. Es war überraschend zu sehen, wir dreckig die meisten Fassaden damals waren. Heute ist Hamburg durchsaniert - bis auf die Graffitis, weswegen wir die Fassaden säubern mussten. Verdrehte Welt.

Die Kneipe Silbersack hat noch immer diese tolle Neoninstallation auf dem Dach. Da wollten wir unbedingt drehen. Den Laden haben wir dann von außen richtig aufwendig wieder auf das Jahr `74 getrimmt. Da kamen auch wieder Aufkleber und Graffitis weg, aber dafür haben wir die alten Schilder und Bierreklamen usw. wieder hergestellt. Wir haben dann eine kurze Szene vor dem Laden gedreht, die es nicht in den Film geschafft hat. So erging es auch anderen schönen historischen Sets, die wir gebaut haben und die dann dem Schnitt zum Opfer fielen.


Ich habe übrigens gerade einen Film, der zur Jahrtausendwende spielt, beendet. Das war auch spannend zu sehen was sich in den letzten 20 Jahren alles getan hat. Echt tricky, weil man sich ständig getäuscht hat. Die 70er waren da einfacher zu bestimmen. Das war wirklich noch eine ganz andere Welt. Sie sagen, dass sei nicht lange her gewesen, aber bei dem rasanten Fortschritt, den wir heute haben ist das eine halbe Ewigkeit her.

Aber auf die Wunderbäume ist Verlass. Die gibt es noch in ursprünglicher Form bis heute.

 

Tamo Kunz: Wir haben die Wunderbäume ohne Geruchsstoffe von der Firma zur Verfügung gestellt bekommen. Wir haben die Rechte bekommen den Baum für unseren Film zu nutzen. Mit der Auflage allerdings, dass das Produkt von uns nicht verändert werden darf. Jeder kennt die Szenen aus dem Film „seven“. Dort ist es sehr in die Dramaturgie eingebunden. Man sieht ja erst diesen Wald an Wunderbäumen und kriegt die gruselige Auflösung dann schockierend um die Augen gehauen. Bei uns ist es ähnlich. Man hat zwar den ersten Mord samt Entsorgungsversuch schon gesehen, aber das mit der Abseite wird erst später offensichtlich.


Über Tamo Kunz

Tamo Kunz hat sechs Semester Bauingenieurwesen an der TUHH studiert, ist geprüfter Requisiteur und erfolgreicher Szenenbildner mit dem Schwerpunkt Kinoproduktionen. Unter anderem entwarf er das Szenenbild für die preisgekrönte Kinofilmproduktion "Gegen die Wand" (Regie: Fatih Akin, 2003).

Produktionen (Auswahl):

 

Dienst ist Dienst (Kino, 2019)
Der Goldene Handschuh (Kino, 2018)

Spielmacher (Kino, 2017)

Aus dem Nichts (Kino, 2016)

Fühlen Sie sich manchmal ausgebrannt und leer? (Kino, 2016)

Tatort - Zorn Gottes (TV, 2015)

Supernova (Kino, 2012)

Heiter bis wolkig (Kino, 2011)

Resturlaub (Kino, 2010)

Soul Kitchen (Kino, 2008)

Auf der anderen Seite (Kino, 2006)

Gegen die Wand (Kino, 2003)

Anam (Kino, 2000)

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