"Alles in bester Ordnung": Interview mit Szenenbildnerin Zazie Knepper


Format: Kinospielfilm
Produktion: Lichtblick Film und Fernsehproduktion GmbH
Koproduktion: Arte, SWR, WDR
Regie: Natja Brunckhorst
Szenenbild: Zazie Knepper
Kostümbild: Genoveva Kylburg
Dreharbeiten: März bis Juli 2020, Köln und Oberhausen, NRW
Premiere: Oktober 2021 Filmfest Hamburg
Kinostart: 31. März 2022

Inhalt

Als die 54-jährige Marleen (Corinna Harfouch) und der 32-jährige Fynn (Daniel Sträßer) aufeinandertreffen, könnten die Unterschiede nicht größer sein: Marleen versteckt sich in einer Wohnung, die vollgestellt mit Gegenständen ist, die für sie Bedeutung haben. Fynn reist mit einem kleinen Rollkoffer, in den alles passt, was ihm gehört. „Ordnung ist das halbe Leben!“, sagt er. „Willkommen in der anderen Hälfte!“, antwortet sie. Das ist der Humor und der Kampfstil, den sie von jetzt an führen. (Quelle: Filmstiftung NRW)


© Zazie Knepper

In der sanften Komödie liebt die weibliche Protagonistin Dinge, hebt alles auf und umgibt sich mit endlosen Mengen an Erinnerungen, brauchbaren und unnützen Sachen, kurz sie sammelt und bewahrt alles was ihr in die Finger kommt. Uns erinnert das sehr stark an unseren eigenen Fundus… Was kam Ihnen bei dieser Figur als Erstes in den Sinn?

Zazie Knepper: Für mich ist die emotionale Situation der Figur der wichtigste Einstieg in eine Bilderwelt.
Hier war es die höhlenartige Welt, die eine wichtige Schutzfunktion für die Figur hat. Eine zarte und verletzliche Marleen schützt sich mit und in den Dingen. Von daher war schnell klar, dass die vielen Dinge zusammengenommen ein ganzes Bild ergeben werden, die einzelne Bedeutung in den Hintergrund geraten oder sogar überflüssig werden wird. Natürlich ist jedes einzelne wichtig, aber zusammen werden sie zu einem Kunstwerk.

Die Vielzahl an Dingen könnte chaotisch wirken. Nach den ersten Bildern zu urteilen, wirken selbst Alltagsgegenstände in der Masse unglaublich elegant. Welches Konzept haben Sie für Ihr Szenenbild entworfen?

Zazie Knepper: Das ist ein Prozess, zunächst gab es einige theoretische Überlegungen. Wie fühlt sich Marleens Leben an, was braucht sie in ihrer Wohnung, welche Notwendigkeiten gibt es? Die Höhlen-Assoziation gab das Drehbuch schon vor, eine Metapher für den Seelenzustand von Marleen. Dafür habe ich konkrete Vorbilder in der Natur gesucht, Tropfsteinhöhlen studiert. Jeder kennt das Phänomen von oben und unten zusammenwachsenden Stalakmiten und Stalaktiten. Eine kleine erste Skizze entstand. Ich habe mich also ganz konkret mit dem Thema Höhle beschäftigt.

Dann sollten die Dinge alle möglichst einfarbig sein, um sich am Ende sortieren zu lassen. Weiter habe ich beschlossen, die Wände hinter den Dingen in kräftigen Farben zu streichen. Dadurch entsteht eine besondere Tiefe in der farbsortierten Wohnung. 

 

Die Dinge sollten, trotz des sehr schmalen Budgets, möglichst jedes für sich schön sein. Für den eigentlichen Prozess des Einrichtens brauchten wir eine Idee, die über das reine Anhäufen hinausgeht. Dies ist durch das sehr kunstvolle Stapeln einer immensen Menge an Dingen gelungen. Dafür war es wichtig, einen Plan der verschiedenen Arbeits- und Lebensbereichen in der Wohnung zu erarbeiten. So gab es die Schreib-Ecke, die Bastel-Ecke und den Schlafbereich mit Kosmetik und Schmuck.

© Zazie Knepper

Aber es war tatsächlich nicht so einfach und ich hatte während des Einrichtens eine Phase, in der ich fürchtete, es würde wie eine Präsentation im Fundus aussehen oder die Assoziation zu einem Sozialkaufhaus wecken. Es braucht mehr als schlichte Menge. Es ist die Vorstellung, dass jedes Teil von Marleen mit Liebe gefunden oder gesucht worden war und einen Platz bekommen hat. Der anstrengendste Part war das Hängen der Decke, stundenlanges Arbeiten über Kopf. Es fällt auch schwer viele Sachen zu finden, die sich gut aufhängen lassen.

Was die Architektur und den Grundriss der Wohnung angeht, zwang uns das Budget zu vielen Kompromissen. Da der Anschluss an ein funktionierendes Treppenhaus so wichtig war, haben wir viel der vorhandenen Gegebenheiten in unser kleines Studio eingebaut. Der große leere Raum wurde vorher als Gymnastikraum genutzt. Das Motiv lag im 5. Stock eines leerstehenden Krankenhauses und da der Fahrstuhl bereits abgestellt wurde, mussten alles mit einem Außenfahrstuhl hochbringen. Schon das allein war ein abenteuerliches Vorhaben. 

Was war Ihnen bei der Auswahl der Requisiten, Lampen, Möbel und Stoffe wichtig?

 

Zazie Knepper: Zunächst war es ein großes Problem die endlosen Mengen zu beschaffen. Wir haben mit mehreren Fundi zusammengearbeitet und dutzende von Sozialkaufhäusern regelrecht durchforstet. Und es war immer noch nicht genug. Haushaltsauflösungen, Kleinanzeigen, das Team hat mitgesammelt, ständig brachte wieder jemand einen Karton vorbei. Das Hauptkriterium war Einfarbigkeit. Man entwickelt so eine Art von Röntgenblick im Fundus. 

© Zazie Knepper

Ich habe einen zarten Fokus auf die 60er/70er Jahre gelegt. In dieser Zeit gab es einfach viele schöne, farbige Gegenstände in Orange oder Rot. Eleganz war ein Thema, wir wollten durchaus Empathie für die Dinge erzeugen. Kurioses musste dabei sein und vieles haben wir auch nur ungewöhnlich kombiniert. Bücher waren ein wichtiger Bestandteil und ein gutes Baumaterial für „Berge“. Die Vita von Marleen lieferte ein paar schöne Anregungen, sie war früher als Ballett-Tänzerin erfolgreich und ist um die Welt gereist. Das konnten wir sehr schön einarbeiten.

Die Beleuchtung stellte eine besondere Herausforderung dar, es gab wenig Möglichkeiten das Set von oben zu beleuchten. Deshalb haben wir schon viele kleine Lichtquellen in das Szenenbild eingearbeitet. 
Wir konnten einzelne „Berge“ verschieben. Dazu hatten wir von vorneherein viele Rollwägen untergebaut. Ich habe eine große Sprungwand an einer Seite des Sets eingeplant. Das half dem Kameramann, die schwere Aufgabe des Beleuchtens zu lösen. 

Suchen oder Finden: Ihre Taktik in den Regalreihen im Fundus?

 

Zazie Knepper: Das war recht einfach, wenn wir durch waren, gab es nichts Buntes mehr. Am Ende haben wir gezielt bestimmte Farben gesucht, zum Beispiel fehlte Lila und das Hellgrün war knapp. Dann sind wir losgezogen und haben nur noch diese Farben gesucht.

© Zazie Knepper

Nach und nach entwickelt sich die Wohnung zu einem wahren Kunstwerk und begeistert durch große Schönheit. Wie haben Sie das im Detail umgesetzt?

 

Zazie Knepper: Das ist natürlich tagelange Detailarbeit. Tatsächlich haben wir die Farbsortierung in der Corona-bedingten Zwangspause gemacht. Dadurch hatten wir viel Zeit um alles sehr fein zu sortieren. Je feiner die Sortierung wurde desto mehr hatte man den Eindruck jemand hätte alles mit der Air-Brush Pistole lackiert. Es entwickelte eine große Magie und hat unglaublichen Spaß gemacht. Davon träumen Szenenbildner*Innen, endlich mal alles nach Farben zu sortieren. Schluss mit entsättigtem Graublau in vielen Nuancen.

© Zazie Knepper

Der Gegenpart ist ein jüngerer Mann, der gerade sein Leben auf unter 100 Dinge reduziert, die in einen Rollkoffer passen. Was braucht er im Leben?

 

Zazie Knepper: Oh, darüber kann man lange nachdenken und viel daran arbeiten. Da ist natürlich Kleidung, nützliche Dinge des täglichen Lebens und ein paar ganz ausgesuchte Erinnerungsstücke. Man denkt über Survival-Zubehör nach, was nehmen Menschen auf lange Reisen mit? Das Taschenmesser, Handy und Ladekabel, ein paar Schuhe, eine Brille, ein Buch. Jedes Ding hat man hundertmal in der Hand und überlegt, ob es richtig ist. Das war bei den Dingen für Marleen einfacher. 

Was waren Ihre Inspirationsquellen für das eine und das andere Lebensmodell?

Zazie Knepper: Im Vorfeld sprachen wir viel über Almodovar und seinen Umgang mit Farbe. Für mich waren einige Kunstinstallationen der vorangegangen Biennale sehr inspirierend, unter anderem die wollige Welt der isländischen Künstlerin Hrafnhildur Arnardóttir oder die in Kunstharz gegossenen Tiere der Französin Laure Prouvos. Ein ganz zentrales Bild kam aus der Welt von Mari Katayama, einer jungen Japanerin. 

Ich mag es sehr, mich in der bildenden Kunst inspirieren zu lassen. Es geht in unserem Beruf immer darum, den Zuschauer emotional anzusprechen. Dieser Weg ist mir oft wichtiger als die Sachrecherche, die ich natürlich auch mache. 

Screenshot "Alles in bester Ordnung"
© Lichtblick Film und Fernsehproduktion GmbH

Abgesehen vom großen Aufwand - was war anspruchsvoller als Szenenbildnerin: Das Aufbauen oder das Reduzieren der Umgebung der Hauptcharaktere?

 

Zazie Knepper: Natürlich lag der Fokus in dem Projekt auf der Wohnung von Marleen. Tatsächlich war die Reduktion dann auch nicht so einfach. Jedes Ding in der Welt von Fynn musste genau gewählt und ausgesucht werden. 

Hand aufs Herz: Welcher Typ steht Ihnen persönlich näher?

 

Zazie Knepper: Ich liege so dazwischen. Ich sammle auch und kenne das Mitleid mit Dingen. So schlummert in meine Keller viel altes Zeug, was ich immer mal reparieren wollte und dann doch nicht dazu gekommen bin. Oder es sind Dinge, die ich sehr schön finde, die aber keinen Platz in meiner Wohnung finden. Ich muss aber schon lange nicht mehr alles haben.

Wenn man fast alles für einen Film besorgen kann, es darf auch mal ein Flugzeug sein, dann relativiert sich der eigene Besitz. Vieles kann an einem Set schön sein, aber ich muss es nicht unbedingt zu Hause haben. Menschen sind mir wichtiger.


Über Zazie Knepper

Die Wahlhamburgerin Zazie Knepper stammt aus Tübingen und entdeckte am Theaterhaus Stuttgart ihre Leidenschaft für die Gestaltung von Bühnenräumen. Nach einer Ausbildung zur Bühnenbildnerin und 10 Jahren am Theater wechselte sie zu bewegten Bildern und hat inzwischen an fast 50 Spielfilmproduktionen mitgewirkt. Für das historische Projekt „Mord in Eberswalde“ (TV-Film, WDR/Westside Filmproduktion GmbH) wurde sie 2014 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. (www.zazie-knepper.de)

Produktionen (Auswahl): 

Das Lehrerzimmer (2021, Kino, Regie: Ilker Çatak, if… Productions)

Wir sind dann wohl die Angehörigen (2021, Kino, Regie: Hans Christian Schmid, 23/5 Filmproduktion GmbH)

Tatort: Borowski und der gute Mensch (2020, TV-Reihe, Regie: Ilker Çatak, Nordfilm GmbH)

Alles in bester Ordnung (2020, Kino, Regie: Natja Brunckhorst, Lichtblick Film GmbH)

Es gilt das gesprochene Wort (2018, Kino, Regie: Ilker Çatak, if… Productions)

Zahra- Wilde Jahre (2017, TV-Serie, Regie: Richard Huber, Bantry Bay Productions)

Simpel (2016, Kino, Regie: Markus Goller, Letterbox Filmproduktion GmbH)

Mord in Eberswalde (2012, TV-Film, Regie: Stephan Wagner, Westside Filmproduktion GmbH)

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